Baruch Dajan ha-Emet


Ich trauere um zwei große Lehrer

Rabbiner Nathan Peter Levinson
23.11.1921 Berlin – 27.10.2016 Berlin

Peter Levinson hatte noch 1940 in Berlin ein Rabbinatsstudium an der „Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums“ begonnen, bevor er in letzter Minute mit seinen Eltern aus Deutschland fliehen konnte. Nach der Schoa kehrte er als amerikanischer Militärrabbiner nach Deutschland zurück und blieb zunächst als Rabbiner in Berlin, später in Heidelberg und anderen Städten. Jahrelang stand er für das einstige liberal eingestellte deutsche Judentum. Er war ein wichtiger Freund meiner Eltern und ein unschätzbarer Mentor für mich. Meinen Entschluss, Rabbinerin zu werden, hat er sehr bestärkt, und meinen Weg bis zu meiner Ordination auch als Lehrer voll unterstützt.
Als junger Mann in Berlin hatte Peter die erste Rabbinerin der Welt, Regina Jonas, erlebt. Er berichtet hiervon in seinen Memoiren „Ein Ort ist, mit wem Du bist“. Seine spätere Frau, die Judaistin Dr. Pnina Navè Levinson, hatte zusammen mit ihrer Freundin, der späteren Professorin Dr. Marie Simon, geb. Jalowicz, zeitweilig sogar Religionsunterricht bei Rabbinerin Jonas. Ich schätze mich glücklich, dass ich Peter und Pnina für mein Buch über Regina Jonas habe interviewen können. Leider ist Pnina damals gestorben. Ich habe Peter oft auf Mallorca besucht, seinem Alterssitz, und gemeinsam mit ihm rabbinische Responsen studiert. Obwohl er die letzten Jahre an Demenz erkrankt und nicht mehr ansprechbar war, blieb er als lebendiger Zeuge jüdischen Lebens vor und nach der Schoa präsent. Er wird uns noch mehr fehlen, als wir jetzt ermessen können.
Jehi sichrono livracha

 
Rabbiner Professor Jacob Neusner
28.7.1932 Hartford, CT – 8.10.2016 Rhinebeck, NY

Jacob Neusner hat mit seinen minutiös-systematischen Talmud-Analysen die rabbinische Literatur in einem modernen Licht neu erschlossen. Er war darin der Gaon, der Titan unserer Zeit, vergleichbar der Bedeutung eines Maimonides! Ich habe viele Bücher von Jacob Neusner gelesen – besser: penibel studiert, darunter „The Economics of the Mishnah” (1990), Rabbinic Political Theory. Religion and Politics in the Mishnah” (1991) oder The Idea of History in Rabbinic Judaism (2004). Durch sie erhielt ich entscheidende Zugänge zur rabbinischen Literatur – Zugänge, die mir bis heute ein Fundament sind. Auch in meiner Monographie „Margarete Susman und ihr jüdischer Beitrag zur politischen Philosophie“ spielt Neusner eine Rolle. Im Lichte seiner rabbinisch-analytischen Methodik erhellt sich die rabbinische Bedeutung moderner jüdischer Denker wie Franz Rosenzweig, das gilt gerade auch für das Werk von Margarete Susman.
Ich habe Neusner erst vor einiger Zeit persönlich kennenlernen können. Freundlicherweise ermöglichte er, dass mein Aufsatz „A Politicial Reading of Margarete Susman“ in der von ihm gegründeten Zeitschrift „The Review of Rabbinic Judaism“ erschien. Kurz vor seinem Tod erhielt ich die Druckfahne. Es schmerzt mich sehr, dass ich mich für den Abdruck nicht mehr persönlich bei ihm bedanken kann.
Jehi sichrono livracha