Dr. Gabriele Strecker Preis

Soroptimist International / Club Frankfurt am Main - HELP e.V. verleiht den Dr. Gabriele Strecker Preis an Rabbinerin Prof. Dr. Elisa Klapheck - eine jüdisch-feministische Theologin, die sich für die Sichtbarkeit und Gleichberechtigung von Frauen in Religion, Gesellschaft und Politik, ein lebendiges und liberales Judentum in Deutschland sowie das Gespräch unter den verschiedenen Religionen einsetzt. Mit diesem Engagement ist sie ein Vorbild für alle Frauen, die traditionelle patriarchalische Kulturen verändern wollen. Frankfurt am Main, 9. Juni 2021

 

Laudatio von Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama anlässlich der Verleihung des Dr. Gabriele Strecker Preis an Rabbinerin Prof. Dr. Elisa Klapheck

 

Sieh,

ich gebe heuttags vor euch hin

Segnung und Verwünschung,

Und weiter lesen wir:

die Segnung, wofern ihr hört auf SEINE eures Gottes Gebote,

die ich heuttags euch gebiete,

die Verwünschung, wenn ihr nicht hört auf SEINE eures Gottes Gebote.

 

So heißt es im 5. Buch Moses, 11,26

Und so hieß es oft im Leben von Elisa Klapheck:

 

Aus einer verwunschenen festgefahrenen Situation nicht nur herauskommen, sondern aus Problemen Chancen machen – als Segnung, um im Bibelzitat zu bleiben!

 

Ich lernte Elisa Klapheck Mitte der 1990er Jahre in alternativen jüdischen Zirkeln kennen, die sich auch im Umfeld der damals von mir geleiteten jüdischen Kulturtage, aber auch auf Seminaren von Kulturakademien wie z.B. 1995/96 in Arnoldshain, bildeten: Die Situation hätte nicht trostloser sein können: Die Zahl der seit 1945 in Deutschland lebenden Juden war auf ein paar Zehntausend gesunken, das jüdische Gemeindeleben war in der Hand weniger zwischenzeitlich extrem gealterter Gründungspersonen, die allesamt der Meinung waren, sie wären die letzten der Überlebenden und sie würden jüdisches Leben in Deutschland mit ins Grab nehmen. Selbst die Frauen unter ihnen hatten zur jüdischen Erneuerungsbewegung aus feministischer Perspektive keinen Kontakt, kein Interesse, ja eher sogar wie ihre männlichen Kollegen Angst davor, ihre Friedhofsruhe könnte gestört werden. In diese verwunschene Situation hinein erfolgte der große Zuzug russischsprachiger Juden: Äußerlich gab es eine Renaissance jüdischen Lebens – aber es gab zu dieser Zeit keine einzige Rabbinerin in Deutschland – ein verwunschene Situation:

 

Dennoch:

Es einige wenige junge oder auch geistig Junggebliebene - Frauen wie Männer! Sie trafen sich im Umfeld der vier liberalen Persönlichkeiten: Rabbiner Henry Brandt, Rabbiner Nathan-Peter Levinson, Professorin Pnina Navè-Levinson oder Rabbiner Ernst Stein – und Elisa Klapheck und ihre Mitstreitrinnen und Mitstreiter bekamen von ihnen für ihre grasswood Aktivitäten Rückenwind.

 

Dennoch: in diese verwunschene Situation - in diese Ödnis hinein hinein gründet Elisa Klapheck 1997/98 Bet Debora – und aus einer Rosch Chodesch Gruppe formte sich ein egalitärer Minyan – ein Gebetsquorum, das dann innerhalb weniger Jahre eine neue Synagoge in Berlin wurde: Hier tragen Frauen die gleiche Verantwortung für die Gestaltung und Durchführung des Gottesdienstes wie Männer – Elisa Klapheck war in der Nachkriegsgeschichte Berlins, wenn nicht Deutschlands ganz sicher die erste Frau die im Rahmen eines öffentlichen Gottesdienstes aus einer Torarolle geleynt – das heißt im traditionell Vortragsstil hebräische Bibeltexte vorgetragen hat.

 

Wir haben dann bis 2001 fast vier Jahre sehr eng im Vorstandsbüro der jüdischen Gemeinde zusammengearbeitet. Ich bezweifele, dass wir uns immer einig waren, aber ich weiß, dass unsere Einschätzung die gleiche war: Will man die Zeit der geistigen Armseligkeit, die Zeit der Verwünschung, beenden, müssen hier in Deutschland sozialisierte Personen in der Tradition des deutschen Judentums die geistige Führung übernehmen.

 

In diese Verwünschung hinein entsteht die historische Arbeit für das Buch über Rabbinerin Regina Jonas.

Die 1999 erschienene Edition der ’’Streitschrift” der nachweislich ersten Rabbinerin, Regina Jonas, mit der Frage "Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden" hat Elisa Klapheck nicht nur allen wissenschaftlichen Standards entsprechend sorgfältig ediert sondern auch mit einer fundierten und bis heute unübertroffenen Biographie versehen. Das Buch Elisa Klaphecks war und ist der Meilenstein in der historischen Erschließung dieser wichtigen Person und dieser für das Amt der Rabbinerin unverzichtbaren Streitschrift, die über viele Jahrzehnte vollkommen in Vergessenheit geraten war, ja möglicherweise bei der Institutionalisierung des weiblichen Rabbinats in den 1960er Jahren in den USA nicht bekannt war.

 

Dennoch erstarrt Elisa Klaphecks nicht vor der historischen Gestalt und erarbeitet sich in Lernzeiten in Boulder, Colorado und in Eylat Chaim im Bundesstaat New York, eine Ordination durch R'Zalman-Schachter Shalomi. Eine charismatische Gestalt! R'Zalmans Mantra war, Rabbiner wird man, wenn man schon genügend Lebensjahre und Erfahrungssringe gesammelt hat, wenn man durch Höhen und Tiefen gegangen ist: Dann wird man lehrende Person im Judentum. So Elisa Klapheck 2004.

 

Auch im Jahr 2004 ist dann endgültig die Arbeit im Vorstandsbüro mit meinen Nachfolgern beendet. Es folgen vier Jahre im Beth HaChidusch in Amsterdam. Unter einem Dach mit orthodoxen Synagogen Frankfurt: ein in der jüdischen Welt viel beachtetes Dennoch: Rabbinerin des Egalitären Minjan.

 

Fast nebenbei die Promotion über Margarete Susman: Die Arbeit bettet die Erkenntnisprozesse und die Interessen Susmans in den Kontext ihrer Zeit ohne die Bezüge zu gegenwärtigen Fragestellungen aus dem Blick zu verlieren. Elisa Klapheck versteht es, das nahezu vergessene Werk Susmans im Kontext des inneren Zusammenhangs zwischen Religion und Politik für die Gegenwart fruchtbar zu machen, denn es gelingt Elisa Klapheck das Anliegen Susmans das "Gesetz Gottes” nicht theokratisch zu verstehen, sondern als Anteil einer an säkularen gegenwärtigen Gesetzen darzustellen. Ohne Elisa Klaphecks fundierter Arbeit ist die politische Philosophie Susmans nicht mehr zu verstehen - es ist wie bei der Streitschrift Regina Jonas: Elisa Klapheck hat ein Grundlagenwerk geschaffen, das dieser Tage auch in einer englischen Übersetzung erscheint.

Elisa Klaphecks Reflektion über "das religiös-säkulare Spannungsfeld des Judentums" ist ein spannender Versuch ein seit Jahrzehnten intellektuell vermintes Problem auf 30 kleinen Druckseiten zu umkreisen. Dabei legt sie ihr Credo offen: Sie plädiert "für ein Festhalten an den religiösen Traditionen, allerdings mit der Notwendigkeit ihrer Erneuerungen."

Wenn man so will: Religiöse Traditionen bejahen und dennoch Erneuerungen möglich zu lassen.

 

2017 hielt Elisa Klapheck eine Antrittsvorlesung in Paderborn, wo sie als Professorin am Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften der Universität Paderborn lehrt und forscht und dennoch als Rabbinerin in Frankfurt und als Teil der allgemeinen Rabbinerkonferenz präsent und prägnant zu sein.

 

Die von ihr publizierten Aufsätze und Sammelbände sind deshalb so relevant und interessant, weil ihre wissenschaftlichen Ansätze zum einen gegen den Strom konzipiert sind, andrerseits weil sie sicher verankert im deutsch-jüdischen Denken sind. Elisa Klapheck kommt nämlich aus einem säkularen deutsch-jüdischen Background – mit der Kindheitserfahrung in der Schoa ermordeter Familienmitglieder. Das Jüdische in ihrem Background ist keine frömmelnde Folklore, sondern sicher verankert in jener Melange, die das deutsch jüdische ausmacht: verankert in der Tradition und dennoch die Moderne fest im Blick. Elisa Klapheck ist in Düsseldorf und den Niederlanden aufgewachsen und hat in ihrem ersten professionellen Leben nach einem Studium in Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft und Judaistik als Journalistin und Redakteurin für Zeitungen wie Der TAGESSPIEGEL und der TAZ, für Hörfunk und TV mit Themenschwerpunkten wie die Öffnung Mittel- und Osteuropas nach der Wende gearbeitet.

 

In einem Gespräch mit mir hat sie einmal festgestellt, dass es ihr um die Wiederbelebung des liberalen Judentumes ginge – das hat sie und das habe auch ich gemacht – manchmal zusammen, manchmal nebeneinander, manchmal nicht wissend, dass der andere etwas ähnliches vorhat, aber ohne Förderung durch das jüdische Establishment hierzulande. Elisa Klapheck ist das beste Beispiel für das, was Leo Baeck bei der Charakterisierung jüdischer Geschichte einmal als Konsequenz gezogen hat: Die jüdische Geschichte ist ein Ewiges Dennoch.

 

Elisa Klapheck hat mit ihren Studien aber auch mit ihrem Tun, aus Problemen Chancen gemacht – hat ganz wesentlich Anteil daran, dass es wieder modernes Judentum in Deutschland gibt. Sie hat an vielen Stellen wesentliche Weichen gestellt, hat mitentschieden, dass es nicht Verwünschung, sondern Segnung wurde:

 

oder

 

wie es in der Tora heißt:

 

Sieh,

ich gebe heuttags vor euch hin

Segnung und Verwünschung,

die Segnung, wofern ihr hört auf SEINE eures Gottes Gebote,

die ich heuttags euch gebiete,

die Verwünschung, hört ihr nicht auf SEINE eures Gottes Gebote.

 

Elisa hat das Richtige gehört!

 

Masal Tow!