Vorträge & Aktivitäten
JÜDISCH-POLITISCHES LEHRHAUS
Auftaktveranstaltung am 8. März 2017
im Frankfurter Stadthaus
mit Elisa Klapheck, Micha Brumlik und Hauke Brunkhorst
"Die politische Tradition des Judentums"
Rede von Rabbinerin Elisa Klapheck
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, lieber Peter Feldmann,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
ich hätte nicht gedacht, dass es so viel Interessie für das heutige Thema gibt. Das zeigt mir, wie notwendig es ist, das Judentum in den allgemeinen gesellschaftlichen Dialog einzubeziehen. Vielen Dank, dass Sie alle zur Auftaktveranstaltung der Reihe „Jüdisch-Politisches Lehrhaus“ gekommen sind. Sie setzen damit ein wichtiges Zeichen!
Vielen Dank auch an das Jüdische Museum, das als Kooperationspartner mitwirkt – und an den Betreiber des Stadthauses - der Frankfurter Verein für soziale Heimstätten e.V. zusammen mit Taste of Now. Ich sehe viele Gesichter, die mir bekannt sind – Menschen aus dem jüdischen Leben und solche, die ebenfalls zum jüdischen Leben dazugehören, auch wenn sie selbst keine Juden sind – und ich sehe noch mehr neue Gesichter – ich vermute, es sind Menschen, die wissen, dass in der jüdischen Tradition vieles steckt, was man als Allgemeinbürger kennen sollte – und deshalb einen Zugang dazu suchen.
Es erscheint deshalb mir notwendig, zunächst das Feld für die Themen dieser Reihe etwas genauer zu bestimmen. Nicht alles, was Juden machen, ist darum auch schon „jüdisch“ – oder: „jüdische Tradition“. Wenn im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe über die jüdische Tradition gesprochen wird, dann muss das Label „jüdisch“ beziehungsweise, das was als „Judentum“ bezeichnet wird, bestimmten Kriterien genügen. Nicht alles, was auf Italienisch gesungen wird, ist italienische Oper – und man muss auch nicht Italiener sein, um italienische Oper zu lieben – ebenso muss man nicht Grieche sein, um von der griechischen Philosophie her die Demokratie zu begründen. Genauso muss man auch nicht Jude sein, um die politische Tradition des Judentums zu bejahen. Ich verstehe ihr zahlreiches Erscheinen als ein Zeichen, dass eine Auseinandersetzung mit der politischen Tradition des Judentums allgemein erwünscht ist.
Im Sinne dieser Veranstaltungsreihe „Jüdisch-Politisches Lehrhaus“ möchte ich gleich am Anfang ein häufiges Missverständnis ausräumen. Die jüdische Tradition ist nicht das Alte Testament – also die Bibel minus das Neue Testament. Es ist ganz falsch zu meinen, die Hebräische Bibel sei schon das Judentum. Es stimmt, dass es ohne die Bibel kein Judentum gäbe – aber dieses ist nicht identisch mit dem Alten Testament, sondern die Folge eines dialektischen Prozesses zwischen dem, was Gott der Bibel zufolge will, und der kritischen Auseinandersetzung damit vonseiten der Menschen.
Diese Auseinandersetzung hat in der Antike die rabbinische Diskussionskultur geleistet. Ihr wichtigstes Werk ist der Talmud, der im 6. Jahrhundert fertig gestellt wurde. Die Grundlage der jüdischen Tradition ist danach eine Dialektik von Bibel und Talmud - beziehungsweise von Gottes Willen in der Tora und der durchaus kritischen Auseinandersetzung damit vonseiten der Rabbiner. Ohne diese Dialektik ist auch die politische Tradition des Judentums nicht zu verstehen.
Christen, die sich im jüdisch-christlichen Dialog engagieren, betonen zumeist, was die mit dem Judentum gemeinsam haben – das Alte Testament, also die Bibel minus das Neue Testament. Aber das was anders war, was anders ist: die rabbinische Kultur und der Talmud – bleibt bei der Betonung des Gemeinsamen im Nebel. Parallel zum Neuen Testament und dem Wirken der Kirchenväter hat sich die ganz anders gelagerte jüdische Tradition mit ihrer wichtigsten Grundlage – dem Talmud entwickelt.
Wie ich schon sagte, leistete die rabbinische Kultur eine durchaus kritische Auseinandersetzung mit der Bibel – „Kritisch“ – das muss nicht in einem negativen Sinne verstanden werden; hier bedeutet es in einem konstruktiven Sinne – [griechisch: krinein = unterscheiden, trennen] - in einer konstruktive Spannung zur Bibel, in dem die Rabbiner anhand der gesellschaftlichen Wirklichkeit neue Akzente und eigene Ansichten gegenüber Gott einbringen.
Das Besondere an diesem Spannungsverhältnis – gerade wenn sie sich gegen Gott durchsetzten - war, dass sie die Beziehung mit ihm und seinen Forderungen deswegen keineswegs gebrochen haben – sondern gestärkt, indem sie ihm als ein immer selbstbewussteres Gegenüber begegneten. Darum wird es heute noch mehrfach gehen.
Die talmudischen Rabbinen haben das, was Gott in der Tora will, ernst genommen – und zugleich haben sie es, an der gesellschaftlichen Wirklichkeit, mit der sie zurechtkommen mussten, gewogen. Damit schufen sie eine religiöse Tradition, die von vornherein, weil sie von der weltlichen Wirklichkeit her argumentiert, auch säkular ist.
Die jüdische Tradition ist religiös, indem sie zugleich säkular – weltlich ist.
Das aus dieser Dialektik gewachsene Judentum ist also keine ungebrochene Fortsetzung der Tora oder des Alten Testaments – sondern ein kritisch-konstruktiver Umgang mit den Ideen der Tora – eine kritische Spannung der Menschen zum Höchsten, zu Gott, der Transzendenz, wie immer man es nennen will – um die Position des Menschen in der Welt zu bestimmen. In dieser Dialektik ist nicht alles schon einmal gesagt worden, so dass das früher einmal, in der Bibel Gesagte nur in einem zeitgemäßen Gewande wiederholt werden muss. Vielmehr vermag sich die aus dieser Dialektik entstandene Tradition zu revidieren – jedoch in einem Prozess, der das Alte nicht verdrängt, sondern – das ist wichtig - als Teil der Dialektik mitnimmt und nachvollziehbar macht.
Die Mensch-Gott-Beziehung bleibt als eine dialektische Beziehung fortbestehen.
Diese Dialektik ist auch die Basis der politischen Tradition des Judentums.
Sie kann, weil sie anhand der jeweiligen gesellschaftlichen Herausforderungen konstruktiv-kritisch mit Gott umgeht – zugleich auch kritisch gegenüber dem sein, was gerade in der Gesellschaft geschieht. Deshalb ist sie auch kritisch gegenüber Autoritäten eingestellt – was nicht feindselig bedeuten muss – konstruktiv-kritisch eben. Sie kann aus der dialektischen Beziehung heraus Dinge benennen, erkennen – aber nicht, indem das Verhältnis zu Gott aufgekündigt wird, sondern sich in der Dialektik weiter entwickelt.
Nach der religiös-säkularen Auffassung, die ich wohl mit den meisten Juden teile, ist der Bund, der am Sinai geschlossen wurde, kein vergangenes historisches Ereignis in der Tora – sondern besteht in neuen Formen, und gerade auch im säkularen Bewusstsein weiter. Die vielen Juden, die sich in der Gesellschaft politisch engagieren, tun dies oft aus genau dieser religiös-säkularen Bindung – also einem Selbstverständnis, dass sich Gott verpflichtet weiß, und zugleich neue Akzente und Vorstellungen setzt. Diese politische Tradition des Judentums, das ist meine Überzeugung, war immer anteilig an der Geschichte Europas – vor allem in den großen demokratischen Schüben – wirksam. Sei es vermittelt über das Christentum, sei es in säkularen Distanzierungen vom Christentum, die wieder an das jüdische religiös-säkulare Erbe anknüpften und es wirksam werden ließ.
So wurde die biblische Geschichte vom Exodus der israelitischen Sklaven aus Ägypten zur Blaupause für alle Revolutionen in Europa – wie Michael Walzer dargestellt hat. Und der Bundesschluss am Sinai inspirierte viele historische Verfassungsdebatten. Weiter zeichnete die rabbinisch-talmudische Diskussion über die menschliche Ebenbildlichkeit Gottes unsere heutige Vorstellung von der Menschenwürde.
Es gibt mittlerweile eine neue Generation von Autoren, die das politische Erbe der jüdischen Tradition endlich benennt. Zum Beispiel Eric Nelson, der in seinem Buch „The Hebrew Republic“ (Die Hebräische Republik) darlegt, wie die Denker in England und den Niederlanden ab dem 16./17. Jahrhundert von der jüdischen Rechtstradition inspiriert wurden – und so die Republik, Reformen, Religionsfreiheit begründeten.
Es spricht für sich, dass den Protagonisten dieser revolutionären Entwicklungen, auch wenn sie keine Juden waren, allzu oft vorgeworden wurde, zu „judaisieren“ – Judenknechte zu sein – wie David Nirenberg in seinem wichtigen Buch „Anti-Judaismus“ darlegt. Das lag nicht nur daran, dass ihre Revolutionen, die gleiche Rechte für alle Menschen verlangten, jeweils auch auf die Gleichberechtigung der Juden hinausliefen, sondern weil ihre Gegner genau wussten, dass hier ein politisches Erbe des Judentums zum Tragen kam.
Mein Wunsch ist es, mit dieser Reihe den Anteil der jüdisch-politischen Tradition sichtbar zu machen – wie er unsere demokratische Gesellschaft mitgeschaffen hat und immer noch mitgestaltet.
Bei der Konzeption dieser Veranstaltungsreihe dachte ich an das Lehrhaus – nicht nur das von Franz Rosenzweig, sondern das Lehrhaus, das von Anfang an zur rabbinischen Kultur gehörte. Das bedeutet, dass es nicht nur frontale Vorträge gibt, sondern hier ein Diskurs entstehen soll, bei dem wir alle durch die Auseinandersetzung mit dem Thema lernen. In Übereinstimmung mit den beiden Referentin habe ich einige Zitate aus dem Talmud zusammengestellt, die im Laufe des Abends eine Rolle spielen.
Zwei Aussagen des talmudischen Gelehrten Samuel, der im 3. Jahrhundert in der Stadt Nehardea lebte:
Heutige moderne Juden sehen in ihm einen Ausgangspunkt für die Emanzipation der Juden in der Diaspora und eine säkulare Auffassung.
1)
Dina deMalchuta Dina = „Das Gesetz der Regierung ist das Gesetz“ - auch für die Juden,
(Malchuta = Regierung, Land, Königreich, Staat)
Das Diktum kommt vielmal im Talmud vor (Ned 28a, Git 10b, BK 113a, BB 54b/55a)
und mindestens 25 Mal im Schulchan Aruch. Es bedeutet, dass Juden die Gesetze des Landes aktzeptieren, zugleich aber ihre eigene Rechtstradition haben. Sie wirken mit am Staat – und sind zugleich, aufgrund ihrer eigenen Rechtstradition an einen Diskurs mit Gott gebunden - was sich wiederum in einer kritischen Dialektik zum Staat spiegelt. Diese Einstellung ist, wenn Sie so wollen, auch eine Bedingung für die Demokratie.
2)
Das zweite Zitat von Samuel entstammt der großen talmudischen Debatte über den Messias. Was können wir von der messianischen Zeit - also der besseren kommenden Welt - erwarten? Ist es eine Welt nach der Welt? Ist es eine Welt, die schon jetzt im Werden ist, die wir durch richtiges Verhalten, das Befolgen der göttlichen Gebote und Gesetze, selber verwirklichen? Oder kommt sie allein durch göttliche Entscheidung? Durch eine Apokalypse? Die abrupte Ankunft eines Messias? Oder im Wege der kleinen Schritte?
Samuel nahm in dieser Debatte eine äußerst reservierte Haltung ein. Er warnte vor Illusionen und sagte:
"Es gibt keinen anderen Unterschied zwischen dieser Welt und den messianischen Tagen, als die Knechtschaft der Regierungen, denn es heißt: 'nie wird der Dürftige im Lande aufhören' (Deu. 15,11)." (Schabbat 63a) - Das heißt, dass wir auch in der messianischen Zeit immer noch werden arbeiten müssen. Nur die Herrschaft wird aufhören - wir werden keine Herren mehr über uns haben.
Über diese zwei Zitate von Samuel werde ich im Anschluss an das Statement von Hauke Brunkhorst mit ihm diskutieren. Sodann folgt ein Statement von Micha Brumlik über die talmudische Geschichte des Ofen von Achnai und die Demokratisierung des rabbinischen Lehrhauses (Baba Mezia 59a-b). Am Ende, wenn hoffentlich noch Zeit ist, werden wir hierüber mit dem Publikum diskutieren.
Schon jetzt bedanke ich mich für Ihr großes Interesse, worin ich ein gutes Vorzeichen für die Reihe "Jüdisch-Politisches Lehrhaus" sehe.
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Auftaktveranstaltung
JÜDISCH-POLITISCHES LEHRHAUS
„Die politische Tradition des Judentums“
Rabbinerin Prof. Dr. Elisa Klapheck diskutiert mit
Prof. Dr. Micha Brumlik und Prof. Dr. Hauke Brunkhorst
Schirmherr und Grußwort OB Peter Feldmann
8. März 2017, 19.30 Uhr
Stadthaus am Markt (gegenüber vom Dom)
Markt 1, 60311 Frankfurt
Am Mittwoch, den 8. März beginnt im unlängst fertiggestellten Stadthaus am Markt die Reihe „Jüdisch-Politisches Lehrhaus“. Es diskutiert die Frankfurter Rabbinerin Prof. Dr. Elisa Klapheck mit Prof. Dr. Micha Brumlik und Prof. Dr. Hauke Brunkhorst. Der Frankfurter OB Peter Feldmann ist Schirmherr der Reihe und wird ein Grußwort halten.
Die Veranstaltungsreihe knüpft an die jüdische Tradition Frankfurts an. Zu ihr zählten das von Franz Rosenzweig gegründete Freie Jüdische Lehrhaus ebenso wie zahlreiche bedeutende politische und jüdisch-religiöse Denker, die die Demokratie und den modernen Rechtsstaat prägten.
Das Thema dieser ersten Veranstaltung ist „Die politische Tradition des Judentums“. Sie fußt auf Gerechtigkeitsvorstellungen in der Bibel, talmudischen Ansprüchen an das Gemeinwesen sowie einer jüdischen Pflicht zu bürgerschaftlichem Engagement. Was kann sie für unsere Stadt heute bedeuten?
Die Veranstaltung findet statt in Kooperation mit dem Jüdischen Museum und dem Verein Torat HaKalkala - Verein zur Förderung der angewandten jüdischen Wirtschafts- und Sozialethik e.V.
Zu den Referenten
Micha Brumlik ist einer der bedeutendsten jüdischen Gegenwartsdenker in Deutschland und Autor zahlreicher Veröffentlichungen über die politische Tradition des Judentums, darunter „Kritik des Zionismus“ (2007), „Vernunft und Offenbarung“ (2010) und „Messianisches Licht und Menschenwürde. Politische Theorie aus Quellen jüdischer Tradition“ (2013).
Hauke Brunkhorst steht in der Tradition der kritischen Theorie und der Frankfurter Schule. Seine Publikationen beziehen gerade auch den jüdischen Anteil der politischen Ideengeschichte ein, etwa in „Einführung in die Geschichte politischer Ideen“ (2000) und „Solidarität. Von der Bürgerfreundschaft zur globalen Rechtsgenossenschaft“ (2002). Sein jüngstes Buch ist „Das doppelte Gesicht Europas - Zwischen Kapitalismus und Demokratie“ (2014).
Elisa Klapheck ist Rabbinerin und engagiert sich für eine jüdisch motivierte Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Politik und jüdischer Tradition. Ein Forum hierfür ist die von ihr herausgegebene Schriftenreihe „Machloket / Streitschriften“ mit den Bänden „Säkulares Judentums aus religiöser Quelle“ (2015) und „Bürgerschaftliches politisches Engagement als jüdische Praxis“ (2016).