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Die Rabbinerin Prof. Elisa Klapheck hat die Ehrenplakette der Stadt Frankfurt am Main erhalten. Stadträtin Prof. Daniela Birkenfeld überreichte die Auszeichnung feierlich am Donnerstag, 16. März 2023, im Kaisersaal. Klapheck lebt seit 2009 in Frankfurt und ist in der Stadt familiär verwurzelt.
Klapheck ist Professorin für Jüdische Studien an der Universität Paderborn und Rabbinerin der liberalen Synagogengemeinschaft „Egalitärer Minjan“ in der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt. Als Rabbinerin zählt sie weltweit zu einem kleinen Kreis von Frauen, die dieses Amt gegenwärtig ausüben. Klapheck wurde 2004 ordiniert und ist Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz. Als deren Mitglied und Professorin „ist sie eine international anerkannte Repräsentantin des liberalen Judentums in Deutschland und vermittelt dessen Perspektiven und Werte an die deutsche Öffentlichkeit“, wie es in der Verleihungsurkunde heißt.
Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Ina Hartwig sagt: „Elisa Klaphecks Wirken für die jüdische Tradition und den interreligiösen Dialog ist für Frankfurt von herausragender Bedeutung. Sie prägt gleichermaßen sowohl den wissenschaftlichen Diskurs durch ihre akademische Tätigkeit als auch das religiöse Leben als engagierte Rabbinerin und vereint gekonnt Theorie und Praxis. Ich gratuliere Elisa Klapheck zur Ehrenplakette.“ Und Prof. Mirjam Wenzel, Direktorin Jüdisches Museum Frankfurt, ergänzt: „Elisa Klapheck hat das liberale Judentum in Deutschland wiederbelebt und prägt mit ihren Schriften, Predigten und ihrer Gemeindearbeit dessen Vitalität. Als Rabbinern des Egalitären Minjan in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Mitbegründerin von verschiedenen Netzwerken und Vereinen sowie Professorin für Jüdische Studien eröffnet sie insbesondere jüngeren Menschen immer wieder neue Zugänge zu den politisch-emanzipatorischen Aspekten des Judentums.“
Für Klapheck ist die Ehrenplakette eine besondere Auszeichnung. „Es freut mich, wie die Kreise sich schließen. Die Stadt meines Großvaters ehrt mich. Sie ist zugleich die Stadt mit einer großen jüdischen Tradition, die mir ermöglicht, hier als Rabbinerin tätig zu sein“, sagt die Geehrte.
Klapheck ist zusätzlich Journalistin und studierte Politologin. Sie engagiert sich seit den 1990er Jahren für eine Erneuerung der jüdisch-religiösen Tradition. So gehört sie zu den Mitgründern von Torat Hakalkala, Verein zu Förderung der angewandten jüdischen Wirtschafts- und Sozialethik mit Sitz in Frankfurt und verfasste eine große Biographie über die in der Stadt wirkende, 1966 verstorbene jüdische Religionsphilosophin Margarete Susman.
Die Ehrenplakette wird Persönlichkeiten verliehen, die sich auf kommunalpolitischem, kulturellem, wirtschaftlichem, sozialem oder städtebaulichem Gebiet verdient gemacht und durch ihr Wirken dazu beigetragen haben, das Ansehen der Stadt zu mehren.
Laudatio von Prof. Dr. Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museum Frankfurt
Sehr geehrte Frau Rabbinerin und Professorin Klapheck, liebe Elisa,
lieber Abraham de Wolf, lieber Daniel Kempin, liebe Freundinnen und Freunde von Elisa Klapheck und Mitglieder des Egalitären Minjan,
….
sehr geehrte Frau Dr. Birkenfeld, sehr geehrte Stadträte und Stadtverornete….,
werte Gäste,
Traditionelle Rollenvorstellungen zu verändern, erfordert Mut, Zähigkeit und auch Kampfeslust – insbesondere wenn es um den Bereich unseres Zusammenlebens geht, in dem besondere Autoritäten walten, Traditionen fortgeschrieben und von Generation zu Generation weitergeben werden: dem der Religion. Wir alle kennen die bildhaften Vorstellungen von den Personen, die in den Religionsgemeinschaften eine führende Rolle innehaben: Der katholische Priester ist ein guter Hirte mit weiter Robe, der den Gläubigen die Beichte abnimmt und sie beim sonntäglichen Abendmahl in einer opulenten Zeremonie an der Verheißung teilhaben lässt; der protestantische Pfarrer ist sein strenger Cousin mit schlichtem Bäffchen, der seine Gemeinde wortreich zusammen hält und ein vorbildliches Familienleben lebt und der Rabbiner ist ein warmherziger, gelehrter Mann, der zu jeder Frage eine Antwort aus dem Talmud zitieren kann. Nur selten taucht unter den Bildern in unseren Köpfen und den Erinnerungen wie auch den Geschichten, die mit ihnen verbunden sind, eine Frau mit ritueller wie geistiger Autorität auf. Unter Jüdinnen und Juden in Deutschland war bis in die 1990er Jahre hinein, die Vorstellung, dass eine Rabbinerin den einen Gottesdienst leiten könnten, kaum vorhanden – noch viel weniger das Bild, dass sie mit der Vespa ihren Dienst versieht:
„Vespa fahren ist eine Lebensart“ schreibt Elisa Klapheck in ihrem Beitrag zu dem Buch Damenwahl - Frauen und ihre Autos, „das Düsen durch die City, das schnelle Gleiten auf den Bahnen der Stadt und ihren Elementen – der Verkehr, die Geräusche, die Winde – die Autos, die Menschen und die Vögel – die Straßen, die Himmel – es ist ein täglicher Morgenkick – ein allmorgendliches Gebet des Menschen, der im Diesseits die vielfältige Fülle und vollkommene Freiheit des Jenseits vernimmt. Auf dieser Spur sind schon ganze Artikel, Tora-Auslegungen und Predigten in meinem Kopf entstanden.“ Mit dieser Verbindung zwischen Vespa, Wind und Tora hast Du, liebe Elisa, nicht nur einen Sturm auf die Bastille der religiösen Tradition vorgenommen, sondern auch ein Bild für das geprägt, was Du selbst als „das religiös-säkulare Spannungsfeld des Judentums“ beschreibst. Deiner ersten Machloket-Streitschrift zufolge, besteht dieses Spannungsfeld aus der Gott-Mensch-Beziehung auf der einen und den zwischenmenschlichen Beziehungen auf der anderen Seite. Du führst aus, dass die Tora sich weit weniger der einen, nämlich der exklusiven Beziehung zwischen Mensch und Gott, sondern weit mehr den Beziehungen unter den Menschen widmet, insbesondere den rechtlichen Formen, in denen diese gestaltet werden sollen. Und zitierst den Talmud, der zwischen einer besonders fordernden Rechtsform, nämlich den 613 Geboten und Verboten, die ausschließlich die Israeliten zu befolgen bereit waren, und dem älteren biblischen Gesetzeskodex unterscheidet, der bis heute für alle Menschen unter dem göttlichen Regenbogen gilt: die Noachidischen Gebote. Es ist eines der unverkennbaren Merkmale Deines Denkens und Wirkens, dass Du Sphären miteinander verbindest: die biblische Wirtschaftsgeschichte und die mit ihr verbundenen Frage nach Werten mit der Geschichte von Ökonomie und Geld, die 613 Gebote und Verbote der Tora mit rechtlichen Fragen der Gegenwart, die rabbinischen Diskussionen des Talmud mit Reflexionen über die Komplexität unserer Gegenwart, oder, allgemeiner gesprochen: das Religiöse mit dem Säkularen, das deutsche Judentum mit der jüdischen Gegenwart in Deutschland, die innerjüdische Auseinandersetzung mit dem Vermitteln jüdischer Ideengeschichte an eine nicht-jüdische Öffentlichkeit, Kultus und Kunst, Tradition und Politik.
Deine Autobiografie „Wie ich Rabbinerin wurde“ legt nahe, dass die Möglichkeit einer Verbindung unterschiedlicher sozialer Sphären und historischer Erfahrungen auch Dein Elternhaus geprägt haben muss. Dabei erzählst Du, dass es weniger Deine traumatisierte Mutter Lilo war, die im Versteck überlebt hatte, als vielmehr Dein Vater Konrad, der noch vor seinem Übertritt die Sensibilitäten der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland zu vermitteln verstand. Ich vermute, dass er Dir mit der ihm eigenen Schaffenskraft als einer der wichtigsten Maler im Nachkriegsdeutschland in vielem den Weg bereitet hat – möglicherweise auch mit Werken wie „Der Gesetzgeber“ aus dem Jahr 1969, das sich heute – neben vielen weiteren Arbeiten – im Städel befindet. Dein Interesse zur Bildenden Kunst gilt indessen bis heute nicht nur der Ästhetik, sondern auch der Vermittlung, dem im Gespräch-Stehen mit Bildern und anderen Menschen. Auch das mag in und an Deiner Familie liegen, denn schon Deine Großmutter, Anna Klapheck, hat die erste Monografie über den Maler der jüdischen Avantgarde schlechthin, Jankel Adler, verfasst. „Auch hiervon bin ich geprägt“, schreibst Du in dem Buch Reginas Erbinnen, „Judentum war in meiner Familie nicht nur eine überlieferte Religion oder die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, sondern auch eine künstlerische Einstellung, ein grundsätzliches ‚Anderssein‘. Ich habe allerdings den Akzent anders zu legen gelernt. Ich will als Jüdin nicht Außenseiterin sein. Ich will mit dem Judentum Insiderin sein und die Dinge mitgestalten können.“ Mit dieser Selbstbeschreibung nimmst Du nicht nur eine Positionierung der jüdischen Gemeinschaft innerhalb der nicht-jüdischen Gesellschaft, sondern auch eine Abgrenzung von anderslautenden Selbstverständnissen innerhalb der jüdischen Gemeinde in Deutschland vor. An anderer Stelle, in der zweiten Ausgabe des von Dir mitgegründeten Magazins Bet Debora hast Du für diese Selbstpositionierung den sprechenden Satz formuliert: „daß wir nicht ewig nur Söhne und Töchter bleiben, ewig ‚nur‘ die Zweite Generation, d.h. die Nachkommen derjenigen, die in der Schoa gelitten haben, sondern auch ‚eine erste Generation danach‘ bilden“.
Dein Weg zu einer Leitfigur dieser „ersten deutsch-jüdischen Generation“ nach der Schoa führte nicht gradlinig von der Schule in die Rabbinatsausbildung, sondern zunächst von den Niederlanden, wo Du aufgewachsen bist, über Hamburg nach Berlin, vom Politikstudium über die Publizistik zur Pressesprecherin der dortigen Jüdischen Gemeinde – dies dann schon mit Vespa. Bereits während Deines Studiums hast Du angefangen, mit Freundinnen im Garten die Tora zu lesen und zu diskutieren – und zwar nicht etwa auf Grundlage der Übersetzung von Leopold Zuntz oder von Martin Buber und Franz Rosenzweig, sondern im Dechiffieren der Ziffern des hebräische Originals ohne Vokalisation. Mit diesem mühevollen Studium neben Deinem Studium bahntest Du Dir den Weg in die 1990er Jahre – als mit und neben der Immigration von 220.000 postsowjetischen Jüdinnen und Juden in Deutschland das liberale Judentum wiederentstand. Du warst und bist bis heute eine der entscheidenden Persönlichkeiten für die Wiederentdeckung und -belebung des deutschen Judentums und der von ihm begründeten liberalen Tradition in Deutschland nach der Schoa. Deine Beschäftigung mit einer der prägenden Frauen des liberalen Judentums, der weltweit ersten Rabbinerin Regina Jonas, bedeutete für Dich nicht nur, sich für die Wiederbegründung einer liberalen Gemeinde an ihrem Wirkungsort, der Synagoge Oranienburger Straße, zu engagieren, sondern auch, sich in ihre Abschlussarbeit an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums im Jahr 1930 zu vertiefen, die den programmatischen Titel hatte: „Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?“. Du hast diese Arbeit als Streitschrift herausgegeben und Dir während Deiner editorischen Arbeit immer mehr die Frage gestellt: „kann ich das rabbinische Amt bekleiden?“ Am Ende einer fünfjährigen Ausbildung im Rahmen des Aleph Rabbinic Programm stand die Antwort: im Januar 2004 wurdest Du ordiniert, warst anschließend als erste Rabbinerin in den Niederlanden bei der Gemeinde „Beit Ha’Chidush“ in Amsterdam angestellt und wurdest dann 2009 vom Egalitären Minjan in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt hierher als Rabbinerin geholt. Seither baust Du gemeinsam mit Kantor Daniel Kempin nicht nur eine Gemeinschaft auf, in der auch Frauen aus der Tora lesen, singen und sich an den Auslegungsdiskussionen beteiligen können.
Mit dem von Dir und Deinem Mann Abraham de Wolf gegründeten Verein zur Förderung der angewandten jüdischen Wirtschafts- und Sozialethik e.V. Torat Hakalkala oder der Veranstaltungsreihe Jüdisch-Politisches Lehrhaus sorgst Du auch dafür, dass Themen der jüdischen Tradition und Geschichte mitten in der nicht-jüdischen Öffentlichkeit Frankfurts verhandelt werden. Als Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz und Mitbegründerin des Netzwerks europäischer Rabbinerinnen, Kantorinnen, jüdischer Gelehrter und Aktivistinnen Bet Deborah auf der einen und Autorin von Büchern und Aufsätzen zur jüdischen Ideengeschichte auf der anderen Seite genießt Du seit geraumer Zeit international große Anerkennung. Dem folgt nun die Stadt Frankfurt, indem Sie Dir ihre Ehrenmedaille verleiht. Dafür und für Dein couragiertes und vermittelndes Wirken danke und gratuliere ich Dir von Herzen.